Urkraft und Scham

von Marietta Ullmann

Um dieses Bild hier zu veröffentlichen muss ich Brustwarzen verschleiern. Es zählt sonst zu pornografischem Material.
Ich schütze mich. Meinen Körper. Sonst laufe ich Gefahr zum Objekt gemacht zu werden.Nacktheit ist für die allermeisten Frauen mit Scham besetzt. Es ist ein Tabu. Nackte Frauen wandern sofort in die sexualisierte Ecke.

Scham. Schutz. Angst vor sexueller Gewalt.
Und sexuelle Gewalt beginnt da, wo ein Mensch zum sexuellen Objekt gemacht wird.

Schon als kleine Mädchen lernen wir früh uns zu schämen für unseren Körper. Zu schützen. Zu verstecken.

Nicht nur vor männlichen Blicken. Das ist schon schambesetzt genug.

Nein, das weitaus Verletzendere: die Blicke anderer Frauen können vernichten. Wie viele abwertende Blicke erntet eine Frau im Laufe ihres Lebens von ihren Schwestern? Wie viel Angst ist da in unzähligen Frauen von anderen weiblichen Wesen bloß gestellt zu werden?
Frauen und Mädchen können sich untereinander sehr deutlich darauf aufmerksam machen, wenn die andere nicht aalglatt rasiert und zu unangepasst herum läuft. Dann schämen sich schon junge Mädchen für ihr Körperhaare und ihre Körperformen, die eigentlich niemals dem Ideal entsprechen, welches uns vermittelt wurde.

Scham. Für Haare. Für Brüste. Für alle weiblichen Zonen. Kein angespannter Freibadbesuch ohne perfekt rasierte Bikinizone.

Und dann stehen diese Frauen, dann stehen wir Frauen im Kreissaal. Entblößt. Mit Haaren. Mit Brüsten. In der Erwartung ein Kind zu gebären. Und lauter erwartungsvollen Blicken auf unseren KÖRPER. Genau jener Körper, den wir schon als kleine Mädchen gelernt haben zu verschleiern.

Für manche Frauen kann das DER Grund sein, bei ihrer Geburt nicht loszulassen. Weil sie gerade unrasiert mit Haaren an den Beinen im Zentrum eines Raumes mit vielen anderen Menschen steht.

Wir haben (fast) alle Beine. Und wir haben alle Haare.

Und ich frage mich ein ums andere Mal: wie können wir ernsthaft erwarten, dass Frauen zur Geburt ihrer Kinder in ihre dafür existenziell wichtige Urkraft kommen, wenn wir ihnen bis dahin erfolgreich beigebracht haben, sich für ihren Körper, ihre weiblichen Formen und ihre Haare zu schämen?

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